So funktioniert der Einkauf von Strom

Strom ist im Einkauf viel teurer geworden. Wie die meisten Energieversorger muss die SWL Energie AG ihre Strompreise 2023 daher stark erhöhen. Immerhin hat sie einen Teil des Stroms bereits vor einiger Zeit zu günstigeren Preisen gekauft. Ein Blick hinter die Kulissen der Strombeschaffung.

So funktioniert der Einkauf von Strom

2022 sind die Handelspreise für Strom in Europa regelrecht explodiert. Verglichen mit dem Vorjahr betragen sie ein Vielfaches. Davon haben die Schweizer Haushalte vorerst aber nichts gemerkt. Denn hierzulande dürfen die Stromtarife nur jährlich erhöht werden, das nächste Mal per 1. Januar 2023. Auf diesen Zeitpunkt hin steigen die Strompreise in Lenzburg um durchschnittlich rund 85%. Keine Frage: Das ist viel. Betrachtet man jedoch die Handelspreise für elektrische Energie, hätte die Preiserhöhung noch deutlich stärker ausfallen können. Dass es nicht so weit kommt, liegt an zwei Gründen:

  1. Der Strompreis besteht nicht nur aus dem Preis für die eigentliche Energie, sondern auch aus der Netznutzung und den Abgaben an Bund und Gemeinde. Diese Preiskomponenten verändern sich 2023 nur geringfügig oder gar nicht.
  2. Die SWL Energie AG verfolgt beim Stromeinkauf bewusst eine vorsichtige Strategie, um die Preisrisiken zu streuen. Dazu kauft sie den benötigten Strom über drei Jahre verteilt in Tranchen ein. Die Energie für 2023 hat sie also 2020, 2021 und 2022 beschafft. Vor allem 2020 lagen die Preise sehr tief. Das dämpft die Preiserhöhung im Jahr 2023.

Zum tiefsten Preis einkaufen

Aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung kann die SWL Energie AG erstaunlich präzis vorhersagen, wie viel Strom die Lenzburger Haushalte und Unternehmen an welchem Tag und um welche Uhrzeit benötigen. Diesen Verbrauch bildet sie auf einer sogenannten Lastkurve ab. Beim Einkauf geht es darum, den Strombedarf bestmöglich abzudecken. Dazu holt die SWL Energie AG bei mehreren Handelspartnern Angebote ein und kauft den Strom mit dem tiefsten Preis. So beschafft sie den grössten Teil der benötigten Energie lange im Voraus. Die Restmengen sichert sie sich kurzfristiger: normalerweise im Herbst, diesmal im Sinne der Preissicherheit schon im Sommer.

Strom aus Wasserkraft

Das SWL-Standardprodukt besteht aus Wasserkraft. Deshalb beschafft die SWL Energie AG zusätzlich sogenannte Herkunftsnachweise (HKN). Sie bestätigen, dass die entsprechende Menge Wasserstrom wirklich ins Netz eingespeist wurde. Der Einkauf dieser HKN erfolgt ähnlich wie beim eigentlichen Strom: Die SWL Energie AG bezieht sie in mehreren Teilmengen bei verschiedenen Handelspartnern.

 

Das sagt der Energieexperte: Drei Fragen an Thomas Marti, Leitender Berater bei der EVU Partners AG

Thomas Marti SWL
Thomas Marti, Leitender Berater bei der
EVU Partners AG

Warum sind die Strompreise in Europa so stark gestiegen?

Der Hauptgrund sind die rekordhohen Gaspreise. Denn in vielen europäischen Ländern entsteht ein beträchtlicher Teil des Stroms in Gaskraftwerken. Müssen deren Betreiber mehr für das eingesetzte Gas bezahlen, erhöhen sich die Produktionskosten und somit die Strompreise. Weitere Faktoren sind die stark gestiegenen Preise für die europäischen CO2-Zertifikate und die technischen Probleme bei mehreren französischen Kernkraftwerken. Diese sind seit Längerem ausser Betrieb und liefern keine Energie. Das dadurch knappere Angebot an Strom sorgt für höhere Preise.

Als Grund für die hohen Strompreise wird manchmal auch die «Nervosität» an den Energiebörsen genannt. Gibt es diesen Effekt tatsächlich?

Ähnlich wie beim Aktienmarkt gibt es auch beim Strommarkt Gerüchte und Spekulationen zur Marktentwicklung. Diese haben kurzfristig durchaus gewisse Preiseffekte. Sie aber als zentralen Treiber für überhöhte Marktpreise zu bezeichnen, geht aus meiner Sicht an der Realität vorbei. Denn letztlich ist Strom etwas Physikalisches und Berechenbares: Wir wissen, wie viele Kraftwerke in Betrieb sind, wie gross der Verbrauch ungefähr sein wird und somit auch, welcher Marktpreis zu erwarten ist. Klar ist aber genauso, dass die aktuelle Unberechenbarkeit der Situation in der Ukraine die Volatilität erhöht. So führte die Ankündigung zur Reduktion der Gasmengen Mitte Juni bereits wieder zu einem massiven Preissprung an den Terminmärkten für 2023.

Welche Faktoren müssen eintreffen, damit die Strompreise wieder deutlich sinken?

Die Preise für Primärenergien wie Kohle und Gas müssten fallen – besonders die Gaspreise. Das hängt stark von der geopolitischen Lage ab: Was passiert in der Ukraine? Gelingt es den europäischen Ländern, ihre Gasbeschaffung schnell auf andere Herkunftsländer umzustellen? Positiv würde sich zudem auswirken, wenn in Europa wieder mehr Grosskraftwerke verfügbar wären, namentlich die französischen Kernkraftwerke. Ob die Strompreise sinken, hängt auch vom Wirtschaftswachstum ab. Fällt dieses gering aus, steigt die Nachfrage weniger stark an. Langfristig betrachtet sind vor allem der Ausbau der inländischen Stromproduktion sowie die Integration der Schweiz in den europäischen Strommarkt wichtige Massnahmen für tiefere Strompreise. Je mehr erneuerbaren Strom wir in der Schweiz herstellen, desto unabhängiger sind wir von den Preisschwankungen an den europäischen Strombörsen. Und je besser die Marktintegration ist, desto weniger Preisdifferenzen innerhalb Europas entstehen.